Erster Weltkrieg

„Wir sterben gern“ – Lehrer Schengel schildert die Zeit des Ersten Weltkriegs 1914-1918

Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Schulen aufgefordert, eine Orts- und Schulchronik zu führen. Sowohl in der Chronik der katholischen wie der evangelischen Schule ist eine „Anleitung zur Anlegung einer Orts- und Schulchronik“ zu finden. Die Eintragungen geben einen lebendigen Einblick aus der Sicht des jeweiligen Schreibers in die Geschichte unseres Ortes.

Am 16. April 1909 trat Lehrer Schengel als „Lehramtskandidat sein Amt an der hiesigen evangelischen Schule an“. Von 1909 bis zum 25-jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms II. im Jahre 1913 sind es aber nur knappe Notizen, die er festhält. Im zweiten Kriegsjahr 1915 beginnt er seine ausführlichen Schilderungen während des Ersten Weltkriegs, die aber leider nicht genauer datiert sind.

Die erste evangelische Schule am Rothenberg, später Möbelhaus Bender

Vom Kriegsbeginn schreibt er: „Ich sehe noch die Augen meiner Jungen, als sie auf den Straßen standen mit weit aufgerissenen Augen die Trupps an sich vorüber ziehen und Wagen auf Wagen gefüllt mit begeisterten Kämpfern, die bereit sind ihr Leben fürs heilge Vaterland zu opfern, vom Bahnhof davon rollen zu sehen.“

Von den ersten Kriegsmonaten heißt es später: „Immer wieder mit vor Begeisterung strahlenden Augen kamen meine Jungen die Treppe heraufgestürzt: ‚Sieg, Sieg!’… Als ich ihnen nun auseinander setzte, dass solche Siege mit Deutschlands toten Heldensöhnen bezahlt werden, als ich ihnen die symbolische Kriegsbedeutung unserer wehenden Siegesfahne mit ihrem Schwarz-weiß-rot auseinander setzte, ihnen von blutig roten Wunden, von zitternden, zagenden und trauernden Menschenherzen daheim erzählte, da wurde aus ihrer kindlichen Begeisterung doch eine ernste. Ich durfte ihre Zuversicht auf ein siegreiches Ende mit Gottes Hilfe aber aufrichten mit Hinweis auf das Weiß in unsern Fahnen: ‚Wir sind unschuldig an soviel Blutvergießen. Wir sterben gern für unser geliebtes Vaterland.’ Als ich sie nun fragte, wer auch mit möchte, wenn der Kaiser rufen sollte, da war nicht einer, der sitzen blieb, frank und frei standen sie alle.“ Von Siegesfeiern als schulfreien Tagen ist weiter die Rede.

„Auch schöne Zeichen der Selbstüberwindung habe ich kennen gelernt. Kommt da eines Morgens ein achtjähriger Junge und bittet um Urlaub, da sein Vater ins Feld rücken müsste. Die Tränen laufen ihm über die Backen. Auf meine Frage, ob er schon Abschied von seinem Vater genommen hätte, antwortet er ‚ja’. Warum sollte ich dem Vater wie seinem Sohn den Abschiedsschmerz erneuern? Ich tröste ihn also, dass noch mehr Kinder von Vater Abschied nehmen mussten, und ob er wohl noch mehr Kinder weinend in die Schule hätte kommen sehen. ‚Ein echter deutscher Junge bekämpft den Schmerz und weint nicht laut. Wir müssen hier lernen, damit wir auch einst tüchtige Männer werden.’ Und der Junge setzte sich still auf seinen Platz, weinte nicht mehr, rechnete mit wie jeder andere, und als er nach Hause kam, war der Vater ins Feld abgefahren. Das war die Zeite der Siege in der Schule.

Auch für den Ort selbst hat der Ernst der Zeit segensreiche Folgen gezeitigt. Wer das Leben im Ort während der Friedenszeit kannte, muss sich über den Wandel der Zeiten wundern. Wie ich wiederholt hörte, war unser Ort derjenige im Kreis Altenkirchen, der die meisten Vergnügungssteuern zahlte. Das ist begreiflich, wenn man von der Anzahl und der Art der Vereine hörte, die hier in Blüte standen. Es schien, als hätte mancher nichts anders an den Sonn- und Feiertagen zu tun, als sein sauer erworbenes Geld ins Wirtshaus zu tragen und bis in die Nacht hinein zu schreien und zu johlen. Nun hört man nichts mehr davon und wollte Gott, es bliebe immer so.“

Schon 1915 ist die Rede von den Kriegskosten, für die Kriegsanleihen gezeichnet werden konnten, und von der Not der Bevölkerung: „Zunächst brauchen wir Geld zum Durchhalten. Die Schulen Niederfischbach und Winnersbach (die ich während des Krieges mitversehe) zeichneten fast 1000 M. Die Gespinstfasern sind knapp, also sammeln wir als Ersatz Weidenröschen und Brennnesselstauden zentnerweise. Um der Gumminot abzuhelfen, werden Gummisachen (Mäntel, Schläuche usw.)zusammengetragen. Altes Papier wird gesammelt und dem Vorsteher abgeben.

Die Dürre des Jahres 1915 ließ nur eine schlechte Ernte zu und mancher Familienvater hat sorgenvoll in die Zukunft geschaut. Der Körnerertrag war schlecht und meine Schüler brachten beim Ährenlesen nur 10 Pfund genießbares Getreide zusammen, welches dem Vorsteher abgeliefert wurde. Der Kartoffelertrag war etwas besser, aber von Kartoffeln allein ist schlecht zu leben.“

Die Knappheit an Lebensmitteln, schreibt Schengel weiter, habe in den Monaten Juni und Juli 1916 ihren höchsten Grad erreicht. „Und wie bitter die Not schon an Türen klopfte, wo man sich mit den ausgegebenen Nahrungsmitteln nicht einzurichten wusste, davon zeugt ein Brief, den mir eine Mutter sandte, in welchem sie schrieb, dass sie ihre Kinder schon drei Tage lang mit halbreifen Stachelbeeren ernähre und sie nun nicht mehr zur Schule senden könne. Ich habe dann für etliche Mittage Kartoffeln sammeln lassen und ihr gesandt mit dem Bemerken, dass sie sich besser einrichten müsse. Darauf sind dann die Kinder regelmäßig zur Schule gekommen. Aber auch diese Not hat ihre guten Seiten in der Schule gezeitigt. Während man sonst, wöchentlich wiederholt, die Kinder ermahnen musste, dass auch die Krusten unter dem Schultisch zum täglichen Brot gehören und eine Gabe Gottes wären, so findet man auch nicht das kleinste Krümelchen mehr. …

So kämpft denn die Schuljugend den wirtschaftlichen Kampf zu Hause, auf dem Feld und in der Schule zum Wohle des Ganzen, des lieben deutschen Vaterlandes mit, und das wird für ihr späteres Leben ein großer Segen für sie sein. Und wenn sie da draußen im Schweiße ihres Angesichts auf dem Feld helfen oder in freien Stunden die letzte Ähre mit ihren Schulkameraden vom Felde auflesen, dann verwachsen sie selber mit der heimatlichen Erde, wie die deutsche Eiche mit Ihren Wurzeln den deutschen Fels umklammert. Aber England wird das Gegenteil von dem erreichen, was es will. Nie und nimmer wird es unser schönes Vaterland vernichten, weil Deutschlands Jugend ihr Deutschland liebt mit frohem Mut. …

Und noch ein Gutes hat der wirtschaftliche Kampf mit unseren Feinden für uns und besonders für unsere Schuljugend“ schreibt Lehrer Schengel. So „hat alles Naschen mit Leckereien aufgehört, weil solche Dinge nicht mehr zu kaufen sind. Früher sandten viele Mütter ihre Kinder mit dem Leihbüchlein in den Laden und brachten sie so schon früh auf verkehrte Wege, heute hat solches aufgehört. Heute spart jeder wo er nur kann.“

Nachdem Lehrer Schengel vor Kriegsende von der Grippe „dahingerafft“ wurde, schloss der neue Lehrer Schnell, der nach seiner Entlassung aus dem Heeresdienst am 1. Dezember 1918 die Verwaltung der hiesigen evangelischen Schule übernahm, den Bericht über den Ersten Weltkrieg: „Und nun dieses tragische Ende, eine Schmach des einst stolzen deutschen Volkes. Schmerz, Wut und Hass im Herzen gegen die, die das verschuldet haben, durch übereilte, unüberlegte Revolution, die das deutsche Volk wehrlos gemacht. In dieser Stimmung kehrte ich aus dem Felde, den einen Trost im Herzen, dass es auch noch deutsche Männer gibt. So wie meine liebe, alte Kompanie, die beim Abschied sagte: ‚Herr Leutnant, wir kommen sofort wieder, wenn uns unser Kaiser eines Tages noch einmal ruft.’“

Diese Dolchstoßlegende vom unbesiegten deutschen Heer, von der verletzten deutschen Ehre sollte in den folgenden Jahren eine wichtige Rolle in der unheilvollen Propaganda der Nationalisten spielen.

Nach der Grummeternte* wurden die Kühe aus dem Otterbachtal auf die Blankwiese (heute Edeka, Altenheim, Betreutes Wohnen) getrieben. Hier konnten die Kühe bis bis zum Winteranfang weiden. [Um 1890]

* „Grummeternte“ man sagt auch der letzte Schnitt vom Gras.